Reisebericht Nr. 52

Nordamerika | Mexiko – Baja California Süd

Zwischen zwei Meeren!

„Die Zeit, Ebbe und Flut warten auf niemanden!“ – Rabindranath Tagore

Ebbe, die Wellen des Golf von Kalifornien, dem Mar of Cortez, erreichen den Strand nicht mehr gänzlich. Was für ein Glück für unseren jungen Hund, der seiner Leidenschaft, dem Fischen genussvoll nachgehen kann. Kein Ermüden zu sehen beim Durchstreifen der letzten Wasserlöcher zwischen den wenigen Felsen des sonst weißen, endlosen Sandstrandes. Mit geschärftem Blick und gespanntem Körper durchsucht sie das glasklare Salzwasser. Immer hochkonzentriert und sprungbereit für einen schnellen Fang von einem zurückgebliebenen Fisch. In der Ferne warten hoffnungsvoll Surfer jeden Alters, auf die kommende Flut, auf die perfekte Welle.

Der ewig unruhige Geist kann ausruhen. Für den ein oder anderen ist es ödes Land, wenig Abwechslung, zu viel Einsamkeit. Für uns ist es die Schönheit in allem! Jede Kleinigkeit erfreut unser Auge, unsere Sinne. Das Rauschen des Meeres, das nächtliche, nicht aufhören wollende Klatschen der aus dem Wasser springenden Teufelsrochen, die scheinbar auch in der Nacht das Fliegen lieben. Die vielen bunten Muscheln in allen Formen und Größen. Tausende kleine, zarte Blüten, große farbenfrohe Schmetterlinge. Schling- und Kletterpflanzen klammern sich an den stacheligen Kakteen fest, um der scheinbar immer leuchtenden Sonne näher zu kommen. Wir treffen die Menschen, die ihr seelisches Gleichgewicht suchen, zwischen dem Pazifik und dem Golf von Kalifornien. Die dem andauernden Winter im Norden mit Eis und Schnee entflohen sind. Miles, der nette, braungebrannte Kalifornier, mit dem einzigen, weiteren Wohnmobil an diesem Strandabschnitt, einem umgebauten, ausrangierten Schulbus. Er freut sich heute morgen so euphorisch! War er doch erfolgreich auf der Jagd nach seinem und unserem Mittagessen. Noch am Strand wird der Fisch filetiert und geteilt. Die Harpune verpackt, bevor der junge, moderne Nomade sich wieder hinter seinen PC setzt, um den Lebensunterhalt im Internet hinterherzujagen. Dank Starlink, der neuesten Errungenschaft von Elon Musk und seinen unzähligen Satelliten im Weltall, können wir nun an allen Orten unserer Reise „online“ sein. Fluch oder Segen, darüber lässt sich streiten!

Wir reisen entlang der Ruta 1, die Strasse der Kakteen, immer zwischen der Küsten­linien und einem stacheligen Wüsten­garten. Wir pausieren entlang dieser 1.300 Kilometer langen Landzunge an den schneeweißen Stränden. Werden versorgt von den Fischern, die sich auf dieses lukrative Geschäft eingestellt haben. Sie versorgen uns mit all den Dingen, die wir brauchen, um hier zu leben. Wir bekommen Früchte und Gemüse und wir bekommen Wasser, denn das ist hier nicht selbstverständlich. Bekanntermaßen ist die Baja California Süd eine Teilregion der mexikanischen Sonora­wüste. So fällt die täglich heiße Dusche aus, sie wird getauscht für ein kühles Bad in der salzigen See.

Schon in der Ferne erkennen wir unsere „Lieferanten“! Mit ihren alten, skurril wirkenden Pickups, nie mehr tüvfähig aber gut gefüllt, mit Tomaten, Paprika, Ananas und Papaya, ziehen sie oft eine Kilometer lange Staubwolke hinter sich her. Dennoch sind wir überrascht, von einer Vegetation, die vom Meer bis in die Bergketten des Hinterlandes reicht. Sind es die alljährlichen Hurrikans, die diesen sonst trockenen Landstrich mit Wasser versorgen und damit mit Leben füllen? Die Pflanzen sind kleinwüchsige bis mannshohe, oft dornige Büsche, versehen mit einem Jahrzehnte alten, knorrigen, hartem Stamm, immer in Gesellschaft von den riesigen Kakteen, die wie Wachtürme die Landschaft beobachten. So viele Vögel finden Unterschlupf in den Höhlen und Löcher der uralten Exem­plare. Bis 200 Jahre können diese alt werden. Der Cardon Kaktus ist wohl der unbestrittene König unter ihnen.

Die Anfahrten zu den Stränden benötigen oft einen 4 x 4-Antrieb, um nicht im plötzlichen Weichsand zu versinken oder den Spoiler auf der unebenen Piste als weiteres Mahnmal zu hinterlassen. Wird die Anfahrt doch oft unterschätzt und sehen wir die mutigen, ahnungslosen, naiven Gestalten, zum Teil mit Mietfahrzeugen, festsitzen. Nun wird das vermeintliche Paradies anstrengend und teuer durch den unüberlegten Trip.

Das Meer ist reich an Fischen, beim Schnorcheln in Strandnähe sind die Schwärme der Makrelen so groß, dass das Ende des Schwarms in dem kristallklarem Wasser nicht zu erkennen ist. Kormorane, Pelikane und andere Wasservögel finden hier ihr ideales Winterquartier. Wer in der Ferne eine Rückenflosse auftauchen sieht, muss nicht in Panik erstarren. Ich sage nur: „Hol die Badehose raus und rauf auf das „Standpaddelboat“, da draußen wartet der größte Fisch der Welt, der Walhai! Dieser Fisch wird bis zu 15 Meter lang und wiegt bis zu 20 Tonnen. Es gibt weltweit geschätzt noch um die 200.000 Exemplare. Mexikos Küste beheimatet einige von ihnen. Sie sieben das Wasser nach Nahrung durch und sind wohl die friedlichsten Gesellen ihrer Gattung. Eine Begegnung mit diesen uralten Bewohner unserer Ozeane, egal ob ein Walhai, ein Grau- oder Blauwal kann dein Leben verändern. In ihren Augen, auf ihrer oft vernarbten Haut, kannst du es lesen: „Die Zeit, Ebbe und Flut warten auf niemanden!“

Saludos Anke und Wolfgang

Image