Musikalische Karrieren bei der Bundeswehr

Jeder hat sie schon einmal gesehen: Die Soldaten des Militärmusikdienstes der Bundeswehr

Dass Musizieren und Marschieren gut zusammenpasst – daran besteht für Astrid Kersting kein Zweifel. Sie studierte in den 90er Jahren an der Hochschule für Musik Detmold vorerst auf Lehramt, entschied sich dann jedoch, den Dienst an der Schule gegen die Uniform einzutauschen und sich als Militärmusikerin voll und ganz ihrer Klarinette zu widmen. Seit über 20 Jahren ist sie Mitglied im Luftwaffenmusikkorps Münster der Bundeswehr und mittlerweile als Oberstabsfeldwebel eingesetzt. Doch was auf den ersten Blick nach Dienst an der Waffe und Gelöbnissen klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als vielfältiges interessantes Berufsfeld mit einer Perspektive für lebenslanges Lernen – auch für Absolvierende von Musikhochschulen. Die Anzahl der Quereinstiege häuft sich, wofür zum einen die sicheren Verdienstmöglichkeiten, zum anderen aber auch die attraktiven Berufschancen verantwortlich sind. Gerne ist Astrid Kersting der Aufforderung zum Interview gefolgt. Sie erscheint zusammen mit Roman Reckling, dem 2. Musikoffizier des Musikkorps, in Ausgehuniform. Im Gespräch reden beide über Karrieremöglichkeiten innerhalb der Militärmusik, Frauen bei der Bundeswehr und das vielfältige Einsatzspektrum.

„Das ist es, was ich eigentlich will“, denkt sich Astrid Kersting, als sie vor 26 Jahren von ihrer Freundin hört, dass ihr Bruder als Militärmusiker bei der Bundeswehr arbeitet. Von 1994 bis 1996 studierte sie auf Anraten der Eltern Lehramt Musik an der HfM Detmold mit Hauptfach Klarinette, bei dem damaligen Professor Fritz Hauser. „Im Nachhinein eher eine Vernunfts- als eine Herzensentscheidung“, sagt Astrid Kersting. Denn eigentlich interessierte sie das Künstlerische mehr als das Pädagogische. Und somit kam eins zum anderen: Sie rief Bekannte an und erkundigte sich über die Zulassungsvoraussetzungen, um eine Karriere als Militärmusikerin bei der Bundeswehr anzustreben. Ihr Vordiplom sowie die Nebenfächer wie Musikgeschichte und Formenlehre hatte sie schon durch ihr Detmolder Studium in der Tasche. Mit der Blasmusik und dem Marschieren war sie bereits eh durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Musikverein ihrer Heimatstadt Marienmünster sozialisiert. Mit Erfolg bestand sie die Aufnahmeprüfung beim Ausbildungsmusikkorps, holte ihre Grundausbildung nach und gab erste Wünsche zu Einsatzorten an, die sie zuerst nach Hannover und dann zu ihrer heutigen Stelle – in das Luftwaffenmusikkorps Münster – führte. Zu ihrer Aufgabe gehört dort die musikalische Gestaltung von Bundeswehreinsätzen aller Art, wie zum Beispiel Gelöbnisse und Kommandoübergaben. Auch Wohltätigkeitskonzerte in Zusammenarbeit mit zivilen Serviceorganisationen in Kirchen sowie konzertante Anlässe zählen dazu. Wichtig und unvermeidlich ist auch das Thema Beerdigung. „Wir kamen gerade aus Saudi-Arabien zurück und noch kurz bevor wir das Kasernentor erreichten, kam der Anruf, dass ein deutscher Soldat bei einer Übung in Lettland tödlich verunglückt sei“, erinnert sich Roman Reckling. Natürlich hat sich da jemand sofort bereiterklärt, diesen Dienst zu übernehmen, da dieses Ehrengeleit mit Trompete und Trommel einem jeden Soldaten zustehe. Hier würde man stets pragmatisch denken. Ihr Berufsfeld beschreibt sie als ausgesprochen vielfältig.

Neben dem eigentlichen Künstlerischen könne man seine Kompetenzen je nach Interessenslage auch in vielfältigen anderen Kontexten einbringen. Roman Reckling sei zum Beispiel neben seiner Haupttätigkeit als 2. Musikoffizier auch für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich, ein anderer Kamerad würde zusammen mit seiner Frau die feierliche Gestaltung von Hochzeiten übernehmen und im Corona-Fall würden die Musiksoldat*innen auch in einem Kontext eingesetzt, in dem sie sich im Verteidigungsfall ohnehin bewähren müssen: Während der Corona-Pandemie wurden sie im Gesundheitsamt zur Nachverfolgung von Infektionsketten eingesetzt.

Der Einstieg in die Militämusik kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Entweder durch ein klassisches Studium oder durch einen Quereinstieg. Für letzteres Beispiel führt Roman Reckling gerne seinen ehemaligen Schulkameraden und Freund Akio Ogawa-Müller heran, der auch in Detmold kein Unbekannter mehr ist. Der ehemalige Solo-Trompeter des Orchester des Landestheaters Detmold und Dozent der Trompetenklasse an der HfM hat erfolgreich den Quereinstieg als Trompeter in das Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg geschafft. Er begann direkt mit dem Dienstgrad Stabsfeldwebel, weil er schon die entsprechenden Voraussetzungen aus anderen Tätigkeiten mitbrachte. Vergleichbares Beispiel: Die Oboistin Noemi Gal, die sich unmittelbar nach ihrem Hochschulabschluss für eine Karriere als Bundeswehrmusikerin entschied. Der klassische Weg geht allerdings über das Ausbildungsmusikkorps der Bundeswehr in Hilden. Hier wird man auf die Aufnahmeprüfung für den Studiengang „Militärmusik“ an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf vorbereitet – ein Studium, das die Bundeswehr finanziert. „Man genießt von Anfang an nicht nur die finanzielle Sicherheit, sondern muss sich auch der Rechte und Pflichten des Soldaten bewusst sein“, erklärt Roman Reckling. Damit sei auch die Einschränkung gewisser Grundrechte verbunden wie die Schweigepflicht zu bestimmten Themen sowie der untersagte Besuch beim Hausarzt des Vertrauens. Im Gegensatz zur Orchestermusik fallen allerdings nach dem Studium die Probespiele weg, weil der Einsatz auf einer beruflichen Position in der Militärmusik automatisch erfolgt.

Was das Repertoire betrifft, so sollte man Militärmusik keinesfalls auf den militärischen Kontext reduzieren. „Sie geht eben vom Spielmannszug bis zur transkribierten Wagner-Ouvertüre für Sinfonisches Blasorchester“, erzählt Astrid Kersting. Auch der Bereich der gehobenen Unterhaltungsmusik sei eine Möglichkeit sowie die Betätigung in der Kammermusik. Gesteuert werden die zahlreichen Anfragen zentral über das Zentrum Militärmusik der Bundeswehr in Bonn, wo nach interner Beratung der Auftrag einem bestimmten Musikkorps je nach Verfügbarkeit zugeteilt wird.

Beim Thema „Frauen in der Bundeswehr“ hat sich in den letzten Jahren ein großer Trend vollzogen, zu dem die gesamtgesellschaftliche Entwicklung enorm beigetragen hat. Astrid Kersting erinnert sich an ihr erstes Jahr in Hannover: „Da hat man schon sehr auf dem Präsentierteller gestanden.“ Der Hintergrund: Erst seit 1991 dürfen in Deutschland auch Frauen zur Bundeswehr, da sie bis dato keinen Dienst an der Waffe leisten durften und ausschließlich im Sanitätsdienst eingesetzt wurden, wo der Dienst an der Waffe nur zu Selbstverteidigungszwecken erlaubt war. Mittlerweile würde das Thema Gleichberechtigung und Diversity innerhalb der Bundeswehr auch durch das Kameradschaftsprinzip gelebt, so dass es in den meisten Fällen gar nicht zur Einschaltung des Personalrats oder der Gleichstellungsbeauftragten kommt.

Die Nachwuchsförderung ist derzeit ein brandaktuelles Thema. Viel Personal sei durch die Aussetzung der Wehrpflicht weggebrochen. Außerdem wird natürlich die Debatte Bundeswehr durch den medialen Diskurs immer sehr kontrovers diskutiert. „Man muss eben erst einmal den Türöffner haben, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und dann merkt man eigentlich, was hinter diesem Beruf steckt“, resümieren Roman Reckling und Astrid Kersting.

Image Oberstabsfeldfebel Astrid Kersting als Solistin im Konzert