Vom Graben und Forschen

Die Archäologie im Lippischen Landesmuseum Detmold macht Geschichte lebendig

Von Arne Müller, Lippisches Landesmuseum Detmold

Jedes Jahr werden in Deutschland hunderte archäologische Fundplätze ausgegraben. Doch was passiert nach dem Ende der Feldarbeit? Meist landen die Funde zusammen mit Zeichnungen und Karten erstmal im Archiv. Bis sich dann jemand ausführlich damit beschäftigen kann und eine wissenschaftliche Arbeit darüber verfasst, dauert es nicht selten Jahrzehnte. Am Lippischen Landesmuseum in Detmold wird die Forschung jedoch direkt angegangen, und zwar schneller als gewohnt.

Unerwartete Gräber

Eigentlich erwartete das Ausgrabungsteam Reste einer eisenzeitlichen Siedlung, als im Februar 2022 die Arbeiten auf einem Feld in der Nähe des Schieder Sees begannen. Doch bereits nach kurzer Zeit stieß man auf meist rechteckige Gruben, die sich als ein frühmittelalterliches Gräberfeld entpuppten. Der Begriff Gräberfeld wird in der Archäologie als Alternative zum christlich geprägten Wort Friedhof verwendet. Damit drückt man aus, dass nicht klar ist, ob die Bestatteten Christen waren oder nicht. Zwar wurden keine Knochen mehr gefunden, da diese im Laufe der Zeit in den leicht sauren Böden vollständig zersetzt wurden, aber in einigen Gräbern tauchten noch gut erhaltene Artefakte auf. Die Funde sind typisch für die Zeit zwischen dem frühen 7. und 9. Jahrhundert n. Chr. (Infokasten 1 zur Funddatierung)

Neben einfachen Alltagsgegenständen wie Messern, Gürtelschnallen oder Perlen, fanden sich auch Schwerter, Schildteile oder Lanzenspitzen. Warum aber wurden den Verstorbenen solche wertvollen Gegenstände mit ins Grab gegeben? Heutzutage würde man das schließlich auch nicht machen. Der Grund liegt in den damals ganz anderen Vorstellungen vom Jenseits und der Bedeutung des Todes. Zum einen wurden den Verstorbenen Dinge mitgegeben, die sie im Jenseits versorgen sollten, wie z. B. Kleidung oder Nahrung. Zum anderen gelangten auch Gegenstände in die Gräber, die eher dazu geeignet waren den sozialen Status zu symbolisieren. Dazu gehören Schwerter oder wertvolle Perlenketten. Neben den Beigaben spielt auch die Art wie das Grab gebaut wurde und wo es sich auf dem Gräberfeld befand eine Rolle. Handelt es sich um ein großes alleinstehendes Grab oder nur um eine kleine Grube von vielen? Ziel all dieser Dinge war, dass die Menschen im Jenseits so aufgenommen werden sollten, wie sie vorher gelebt hatten. Allerdings war das Begräbnis auch immer eine Inszenierung der Angehörigen, die anhand einer üppigen Bestattung auch den eigenen Status vor den Mitmenschen zur Schau stellen konnten. Diese Begräbniskultur gewährt uns heute wertvolle Einblicke in das Alltags- und Gesellschaftsleben jener Zeit. 

Lippe und Karl der Große

Was aber steckt hinter der bloßen Zeitangabe 7. und 9. Jahrhundert n. Chr.? Dieser lange Zeitraum von etwa 300 Jahren fällt in die Zeit des Frühmittelalters (ca. 550 – 1050). Sie war geprägt vom Übergang von der Antike zum Mittelalter. Alte römische Strukturen brachen nach und nach weg, neue entstanden. In Mitteleuropa etablierte sich das Frankenreich als bedeutendstes germanisch-romanisches Nachfolgereich im Westen. Seine Könige entstammten bis 751 n. Chr. dem Geschlecht der Merowinger und im Anschluss dem noch bekannteren Geschlecht der Karolinger, dem auch Karl der Große angehörte. Allerdings stand das Gebiet des heutigen Lippe erst 804 vollständig unter der Kontrolle der Frankenkönige. Vorher lebten in Nordwestdeutschland eine Vielzahl weitestgehend unabhängiger germanischer Völker, die von den Franken unter dem Sammelbegriff ‚Sachsen‘ zusammengefasst wurden. Ab 772 n. Chr. führte Karl der Große seine sog. Sachsenkriege um das Gebiet seinem Reich einzugliedern. In diesem Zusammenhang kam er auch mindestens zweimal nach Lippe. 783 n. Chr. verliert er eine Schlacht nahe Detmold und 784 n. Chr. soll er in Lügde nahe der Skidrioburg Weihnachten gefeiert haben. Die Skidrioburg wird aufgrund der Namensähnlichkeit im Raum Schieder vermutet, wo auch das Gräberfeld lag. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass einige der dort Bestatteten auf den Heerzug Karls des Großen trafen. Wahrscheinlich wird die Auswertung des Gräberfeldes neue Erkenntnisse zu dieser Phase der lippischen Geschichte liefern.

Archäologische Forschung braucht einen langen Atem

Archäologie ist mehr als nur die Schaufel zu schwingen. Ein Großteil der Arbeit wartet nach dem Ende der Ausgrabung. Zunächst müssen die Funde gereinigt und teilweise auch restauriert werden. Das heißt zerbrochene Keramikgefäße werden wieder zusammengesetzt, Schwerter vor weiterem Rost geschützt und erhaltene Lederreste gesichert. Teilweise tritt die ursprüngliche Form der Gegenstände auch erst nach der Restaurierung wieder zu Tage. An diesem Punkt kommt der Archäologe Arne Müller ins Spiel, der zurzeit als wissenschaftlicher Volontär am Lippischen Landesmuseum beschäftigt ist.

Er vermisst, beschreibt, bestimmt und datiert jeden einzelnen Fund. Die Informationen werden dann in einem Katalog gesammelt. Das Gleiche passiert mit der Dokumentation der Grabgruben, die unter Anderem aus Zeichnungen, Fotos und Beschreibungen besteht. Währenddessen werden zusätzlich noch einige naturwissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag gegeben. Für Schieder werden z. B. gerade in Köln Pferdeknochen untersucht um herauszufinden, wie alt, groß und gesund die ebenfalls in Schieder bestatteten Pferde waren. Je wertvoller das Tier, desto höher war der Status seines Besitzers. Nachdem all diese Arbeiten fertig sind, werden die gewonnen  Einzelinformationen von unserem Archäologen zusammengeführt und können dann auch interpretiert werden. Erste Ergebnisse sollen bereits in diesem Jahr in der Dauerausstellung des Lippischen Landesmuseums in Detmold gezeigt werden. Außerdem wird in den nächsten Jahren eine wissenschaftliche Publikation zum Gräberfeld von Schieder erscheinen.

Image Schild-Bestandteile aus Eisen © Lippisches Landesmuseum Detmold

Die zeitliche Einordnung der Funde (Datierung) ist eines der wichtigsten Forschungsgebiete in der Archäologie. Es gibt eine Vielzahl von Methoden, die zu diesem Zweck zum Einsatz kommen. Neben naturwissenschaftlichen Verfahren, wie z.B. der Radiokarbondatierung, kommt bei der Auswertung von Gräberfeldern insbesondere die Datierung durch Fundzusammensetzung zur Anwendung. Ähnlich wie heute waren auch damals alle Gegenstände wie Schmuck, aber auch Waffen modischen und technischen Veränderungen unterworfen. Was heute noch unverzichtbar ist, kann morgen schon out sein. Zusammen mit besonderen Funden, wie z. B. Münzen, die sogar genaue Jahreszahlen liefern können, lassen sich Entwicklungen erkennen. Übertragen auf die heutige Zeit könnte man beispielsweise beobachten, dass Smartphones über die Jahre immer größer geworden sind und mehr Kameras aufweisen. Somit kann man sagen welche älter oder jünger sind. Da die Funde aus verschiedenen Epochen bereits seit Jahrzehnten von Archäologinnen und Archäologen verglichen und sortiert worden sind, können die meisten heute gut datiert werden.

Arne Müller studierte bis 2024 Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Universität Münster. Bereits in seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit frühmittelalterlichen Gräberfeldern in Ostwestfalen. Neben dem Studium sammelte er u. a. Grabungserfahrung bei der Stadtarchäologie in Münster und auf den Grabungen des Niedersächsischen Instituts für historische Küstenforschung auf der Nordseeinsel Föhr.