Sammlung aus Kamerun

Das Lippische Landesmuseum erforscht einen Teil seiner aus Afrika stammenden Objekte

Von Julia Schafmeister und Dr. Amir Theilhaber, Lippisches Landesmuseum Detmold

Etwa 200 der aus Kamerun stammenden Objekte in der völkerkundlichen Sammlung des Landesmuseums gehen auf den aus Lippe stammenden Kolonialbeamten August Kirchhof und seine Frau Hedwig zurück. August wurde 1874 als Sohn des späteren Landrates August Kirchhof in Hohenhausen geboren. Die Familie zog nach Brake, August legte das Abitur in Lemgo ab und studierte im Anschluss Jura in Marburg. Nach bestandenem Examen trat er in den Reichskolonialdienst ein. 1903 übernahm er eine Stelle als Bezirksrichter in Victoria in der deutschen Kolonie Kamerun. Auf Heimaturlaub verheiratete er sich 1905 mit der Detmolderin Hedwig Overbeck (geb. 1879), die ihn von nun an in Kamerun begleitete. 1910 wurde Kirchhof als Bezirksamtmann nach Duala versetzt und kurz darauf in gleicher Funktion nach Yaoundé, ins Landesinnere. Der Bezirk war durch seinen Vorgänger Hans Dominik der deutschen Herrschaft unterworfen worden. Kirchhof stabilisierte die Herrschaft und baute sie aus. Neben seinen verwalterischen Tätigkeiten, zu denen auch die Gerichtsbarkeit über die Einheimischen gehörte und in deren Rahmen er viele Exkursionen durch den Bezirk und angrenzende Gebiete unternahm, betätigte sich Kirchhof mit großer Hingabe als Jäger. Das Landesmuseum verwahrt einige auf seine Jagden in Kamerun zurückgehende Vogelpräparate.

Bei Kriegsausbruch 1914 kehrten August und Hedwig Kirchhof nach Deutschland zurück. Ein Nachruf auf August, der 1926 in Berlin verstarb, bezeichnet die Kameruner Jahre als seine glückliste Zeit. Die Hoffnung auf eine Widergewinnung der deutschen Kolonie habe er „nur blutenden Herzens“ aufgegeben. (zit. nach Bruno Kirchhof: Die Kirchhofs, 1970.)

Ende der 1920er Jahre verfasste Hedwig in Detmold ihre Erinnerungen an die Jahre in Kamerun. Sie beschreibt eine glückliche Zeit voller außergewöhnlicher Erlebnisse. Ihr Interesse galt den Märkten, der Kleidung und dem Schmuck der Frauen sowie deren Handarbeiten. Zugleich kultivierte sie in ihrem Text das dem Kolonialismus inhärente Machtgefüge und -gefälle und blieb fest in der deutschen Kultur verhaftet. „Oft bin ich gefragt worden, wie die schwarze Dienerschaft mir gefallen hätte, und ich konnte immer nur sagen, dass ich im Allgemeinen sehr zufrieden gewesen bin. […] So hatten wir in der Küche einen schwarzen Koch, der seine Sache ausgezeichnet machte. […] Und obwohl die Eingeborenen an sich einen ganz anderen Geschmack haben als wir Europäer, […] so konnten sie doch Mayonnaisen, Heringssalat u. dergl. pikante Gerichte nach unserem Geschmack treffen.“ (Hedwig Kirchhof: Erinnerungen an Kamerun, o.D.)

Vor dem Hintergrund dieser schriftlich fixierten Erinnerungen Hedwigs und angesichts der Zusammensetzung der Kirchhofschen Sammlung kann – anders als bisher – davon ausgegangen werden, dass nicht August, sondern Hedwig einen Großteil der Kulturgüter zusammentrug. Im Rahmen der Erforschung von Provenienzen rücken Frauen als potentielle Sammlerinnen vermehrt in den Fokus, eine Personengruppe deren Sammlungstätigkeit bisher häufig übersehen wurde.

Dass die Kirchhofs bereits während ihrer Zeit in Kamerun Gegenstände nach Lippe ausführten, belegen die Kindheitserinnerungen der jüngeren Schwester Augusts, Margarete. Sie beschreibt die aufregenden Momente, „wenn […] August die aus Kamerun zahlreich mitgebrachten Kisten auspackte“, „koloniale Raritäten“ in Schiffskisten, darunter „Federbüsche, die die Schwarzen als einziges Kleidungsstück tragen“. (Margarete Roser-Kirchhof: Mein altes Schloss, 1961.)

Sowohl Hedwigs Erinnerungen an ihre Jahre in Kamerun als auch diejenigen ihrer Schwägerin an die Kindheit in Brake lassen einen Besucher der Familie Kirchhof unerwähnt, der wohl bei beiden nicht in Vergessenheit geraten sein dürfte: 1912 brachte August Kirchhof Karl Atangana (1883-1943) mit nach Brake, der ihm auf Grund seiner einflussreichen gesellschaftlichen Position als Mittelsmann in Yaoundé diente. Atangana war auf der Reise nach Hamburg ans Kolonialinstitut, wo er Sprachstudien durchführte und zukünftige Kolonialbeamte vorbereitete. Zu seiner „Eingewöhnung“ in Deutschland hatte Kirchhof einen Aufenthalt in Lippe vorgesehen. In Brake begleitete Atangana den Landrat Kirchhof zu Sitzungen und erhielt Einblicke in deutsche Verwaltungsstrukturen, bevor er nach seiner Heimkehr nach Yaoundé zum „Oberhäuptling“ ernannt wurde. Der Gast selbst notierte zu seinem Aufenthalt in Lippe: „Ich sah die Externsteine, das Hermannsdenkmal, und Frau Bezirksamtmann zeigte mir auch das Schloß des Fürsten von Lippe […].“ (Karl Atangana und Pauli Messi: Jaunde-Texte, 1919.)

Noch zu Lebzeiten Alfreds, 1924, begannen die Kirchhofs Stücke aus ihrer Sammlung an das Landesmuseum abzugeben. Das Eingangsbuch führt unter anderem einen „Palaver Stuhl“ auf, in anderen Dokumenten als „Häuptlingshocker“ bezeichnet, und eine Jagdtasche mit Pulverbehälter. Weitere Abgaben erfolgten 1931 durch Hedwig – die in Detmold auch knapp 20 Jahre nach ihrer Rückkehr aus Kamerun und über 10 Jahre nach Ende des deutschen Kolonialreiches noch als „Frau Bezirksamtmann Kirchhof“ bezeichnet wurde –, in größerem Umfang 1944 und letztmalig 1963 durch Hedwigs Familie Overbeck. Sie selbst war im März 1950 in Detmold verstorben. Im Sommer desselben Jahres hatte das Landesmuseum zudem auf einer Versteigerung mehrere Dutzende Sammlungsstücke aus dem Nachlass Kirchhof erworben, die offenbar zuvor durch die Familie veräußert worden waren.

Das Provenienzforschungsprojekt macht es sich zur Aufgabe, die einzelnen Objekte aus den behandelten Sammlungskonvoluten so detailliert wie möglich auf ihre Herkunft, den ursprünglichen Gebrauch, die Art der Aneignung, Zwischenbesitzer und den Weg ins Landesmuseum zu untersuchen. Über eine Datenbank werden die Stücke der Wissenschaft und breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Austausch mit Vertretern der Herkunftsländer wird den wichtigen Fragen nachgegangen, wie in Zukunft mit den untersuchten Kulturgütern umgegangen werden soll, welche Bedeutung ihnen zukommt, wo sie verwahrt werden sollen. Das Landesmuseum versteht das Forschungsprojekt als Auftakt einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit seiner völkerkundlichen Sammlung.

Ein großer Teil der durch das Ehepaar Kirchhof nach Detmold verbrachten Objekte kann in der Abteilung „Kulturen der Welt“ im Lippischen Landesmuseum besichtigt werden.

 

Was ist Provenienzforschung?

Museen stellen ihre Objekte nicht nur aus, sondern sie betreiben auch Forschung zu ihnen. Dazu gehört es, die Herkunft der Gegenstände aufzuklären. Seit Ende der 1990er Jahre kommt den Provenienzen bestimmter Objektgruppen besondere Aufmerksamkeit zu: Zunächst standen vornehmlich im Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter und NS-Beutekunst im Fokus. Hinzu traten Kulturgutentziehungen in der DDR. Ein Forschungsschwerpunkt der letzten Jahre ist Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten.

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste finanziert die Erforschungen von Provenienzen unrechtmäßig entzogenen Kulturguts. Seit Mai 2021 läuft am Lippischen Landesmuseum Detmold ein Provenienzforschungsprojekt, das einen Teil der völkerkundlichen Sammlung in den Blick nimmt und vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (www.kulturgutverluste.de) gefördert wird.

 

Image Vitrine mit Objekten aus Kamerun, Abteilung „Kulturen der Welt“, Lippisches Landesmuseum